Stress und Stressbewältigung
William Shakespeare meinte: “Dinge sind weder gut noch schlecht, erst unser Denken macht sie so.” Überangebot, Reizüberflutung und stetig wachsende Anforderungen in Beruf und Privatleben: wen betrifft das nicht? Der Dauerstress und die ständigen Gedanken an Arbeit und eingegangene Verpflichtungen beschäftigen fast jeden. Was ist Stress? Wie ungesund ist er wirklich? Welche Folgen hat er? Lässt er sich vermeiden? Vielleicht sind es genau solche Ãœberlegungen, derentwegen das Wort Stress zu den 100 bezeichnenden Wörtern des 20. Jahrhunderts zählt (Wolfgang Schneider: 100 Wörter des Jahrhunderts. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1999).
Definition – Stress
Die Definition von Stress stellt eine große Herausforderung dar. Aufgrund der Komplexität des Phänomens setzen sich nicht nur die Medizin, sondern auch die Psychologie, Biologie, Neurologie und Soziologie mit unterschiedlichen Schwerpunkten in Erklärungen und Ansätzen auseinander.
„Ob die auslösenden Faktoren (Stressoren), der Umgang mit Stress (Coping), das physiologische Geschehen, die psychologischen Vorgänge, welche das Stresserleben in all seinen Facetten beeinflussen können, oder auch die möglichen Folgen (Krankheiten) – jeder dieser Aspekte erfuhr beziehungsweise erfährt bis heute Aufmerksamkeit.“ (Stress – Die Geschichte eines westlichen Konzeptes, Saskia Rohmer, Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg 2013, S.256.)
Ganz allgemein wird Stress im Duden als „erhöhte Beanspruchung, Belastung physischer oder psychischer Art“ erklärt, aber auch als „(umgangssprachlich) Ärger“.
Betrachtet man in groben Zügen seine biologische Besonderheit, ist Stress ein seit Urzeiten uns innewohnender Verteidigungsmechanismus. Ausgelöst wird er durch bestimmte physische, physiologische oder psychische Reize.
Aus medizinischer Sicht bewirkt Stress eine Reaktion des Organismus, die zu besonderer Leistungssteigerung führt. Kurzfristig nehmen weder Körper noch Seele Schaden,  andauernde Belastung hingegen kann krankmachende Folgen haben. Das Immunsystem wird angegriffen, wodurch das Risiko für Erkrankungen des Herz-Kreislaufsystems erhöht wird. Die Anfälligkeit für psychische Erkrankungen steigt.
Stressforschung
Seit den 1920er Jahren gibt es erste Theorien zur Entstehung und Bewältigung von Stress. Wichtige Grundbegriffe der Stressforschung basieren auf einem physikalischen Vorgang, den das Hookesche Gesetz beschreibt. Hierbei wird die Elastizität von Federn geprüft. (Lydia Gebauer: Aktuelle nationale und internationale Angebote zur Stressbewältigung für Medizinstudierende, Gießen: Inauguraldisseration 2013, S. 6.)
Neben biologischen, physiologischen und soziologischen Betrachtungsweisen, gibt es auch reiz-, reaktions-, zustands- oder beziehungsorientierte Darstellungen. (Jürgen R. Nitsch (Hrsg., 1981): Stress – Theorien, Untersuchungen, Maßnahmen. Zur Gegenstandsbestimmung der Stressforschung. Bern, Stuttgart, Wien: Verlag Hans Huber, S. 29-51.) Der medizinische Fortschritt ermöglichte eine stetig komplexer werdende Auseinandersetzung, auch auf physiologischer Ebene.
Zu den zahlreichen Stressmodellen gehört vorweg jenes vom so genannten Pionier der Stressforschung Hans Selye (1907-1982). Der österreich-kanadische Mediziner gründete auch das „International Institute of Stress“. Seine Überlegungen zum lokalen und generellen Adaptionssyndrom beziehen sich vorwiegend auf physiologische Stresseffekte.
Richard S. Lazarus (1922-2002) beschäftigt sich bei seinem transaktionalen Modell beispielsweise insbesondere mit menschlichen Emotionen und Verhalten im Zusammenhang mit Stress und Stressbewältigung.
Flight or Fight Syndrom
Walter B. Cannon beleuchtet bei „Flight or Fight“ die durch Emotionen wie Angst oder Zorn freigesetzten Energiereserven des Körpers. Jene dienen der Vorbereitung auf eine mögliche Flucht- oder Kampfreaktion. Die Überlegungen von Henry und Stephans wiesen 1977 die neuroendokrinen Reaktionen auf einen Stressor nach. Hauptaugenmerk legten sie auf den Zusammenhang zwischen frühen Lebenserfahrungen und der späteren Fähigkeit, sich in sozialen Gefügen einzuordnen (Psychische Gesundheit bei der Arbeit von Ralf Neuner, S.11-13.)
Positiver Stress?
Stress ist besonders in den letzten dreißig Jahren zu einem der populärsten Phänomene der westlichen Kultur geworden. Sowohl die Wissenschaft als auch die Gesellschaft sind deshalb zu einer Auseinandersetzung herausgefordert. Obwohl Stress durchaus positive Effekte haben kann, scheint vor allem seinen negativen Auswirkungen ganz erhebliche Bedeutung zuzufallen.
Die Herausforderung dieses Themas liegt in der Tatsache begründet, dass das Auftreten von Stress individuell geprägt ist. Ob ein Faktor überhaupt als stressreich wahrgenommen und welcher Umgang mit der jeweiligen Situation gefunden wird, variieren deutlich. Ebenso unterscheiden sich die Beschwerden, die bei dauerhafter Stressbelastung auftreten. Die Bewertung und Bewältigung von Stress sind also von Person zu Person verschieden.
Stress in der Wirtschaft
Schlagzeilen wie „Stress am Arbeitsplatz: Jeder Zweite ist belastet“ lassen aufhorchen. In diesem Fall war es Christa Sedlatschek, die Direktorin der Europäischen Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz. Sie wies darauf hin, dass 45 Prozent der Arbeitnehmer in Österreich regelmäßig oder permanent Stress ausgesetzt sind. Ebenfalls werden 40 Prozent aller Invaliditätspensionen auf Stress und dessen Auswirkungen auf die Gesundheit zurückgeführt. (Artikel in der Kleine Zeitung von 20. März 2015)
Stress macht Krank
Die Arbeitswelt ist ständig im Wandel und damit auch ihre krankmachenden Faktoren. In diesem Zusammenhang muss man vor allem die psychischen Erkrankungen nennen. Diese sind mittlerweile als Folge der Arbeitsbelastung anerkannt. Die Arbeiterkammer hat erstmals beim Wirtschaftsforschungsinstitut und der Donauuniversität Krems dazu eine Studie in Auftrag gegeben.  Es wurden die psychischen Krankmacher in der Arbeit erfasst und deren Kosten für die Gesamtwirtschaft berechnet. Dafür wurden sowohl nationale wie internationale Datenquellen erhoben und zusammengeführt.
Die Ergebnisse zeigen Folgendes:
- Beschäftigte ohne arbeitsbedingte Belastungen weisen nur 0,8 Tage krankheitsbedingter Arbeitsausfälle auf, 3,3 Ausfallstage bei arbeitsbedingten psychische Belastungen, knapp 6 Ausfallstage beim Zusammentreffen psychischer und physischer Belastungen.
- 32 Prozent aller Neuzugänge in die Berufsunfähigkeits- und Invaliditätspensionen erfolgt aus psychischen Gründen.
- Krankenstände aufgrund arbeitsbedingter psychischer Belastungen dauern länger und die gesamtwirtschaftlichen Kosten belaufen sich auf rund 3, 3 Milliarden Euro jährlich.
Stress als moderne Volkskrankheit
Schlussfolgernd lässt sich feststellen, dass die Psyche der Beschäftigten weit stärker und intensiver beansprucht wird als noch vor einigen Jahrzehnten. Es zeigt sich, dass unter psychischen Arbeitsbelastungen wesentlich häufiger gesundheitliche Probleme auftreten. Laut Arbeiterkammer gilt das insbesondere für Stress, Depressionen oder Angstzustände. Dazu zu zählen sind auch Herz-/Kreislauferkrankungen, Kopfschmerzen und Übermüdung, sowie Demenz oder Infektionskrankheiten. Außerdem führen psychische Belastungen oft auch zu physischen Belastungen und umgekehrt (Psychische Krankmacher in der Arbeit und was sie kosten, Studie der Donau-Universität Krems, 2013)
Ergänzend sei noch eine Erhebung im Rahmen des Mikrozensus von der Statistik Austria aus dem Jahr 2013 genannt. In dieser Arbeitskräfteerhebung wurde deutlich, dass acht von zehn Erwerbstätigen am Arbeitsplatz einem Gesundheitsrisiko (körperlicher und/oder psychischer Art) ausgesetzt sind. Am häufigsten wurden in diesem Zusammenhang Probleme mit dem Bewegungsapparat sowie Stress und Depressionen angeführt.
Ursachen von Stress
Es wirken innere und äußere Stressoren auf Körper und Psyche. Bei der Auseinandersetzung mit Stress wird daher unterschieden, ob „die betroffene Person den Stress selbst erzeugt, dieser quasi ‛von innen‛ kommt (innerer Stressor), oder ob die Person verschiedenen Umwelteinflüssen ausgesetzt ist, welche einzeln oder in Ihrer Gesamtheit Stress erzeugen (Äußerer Stressor). Unter anderem können Ereignisse, Situationen, Personen oder Umweltreize Stressoren sein. Die oben bereits angesprochene individuelle Bewertung gibt dann den Ausschlag, wie belastend jene Veränderungen empfunden werden.
Innere wie auch äußere Stressoren können sowohl positiv, als auch negativ empfunden werden. Ein positiv wahrgenommener Stressor löst Eustress aus, ein negativ empfundener erzeugt Disstress.
Äußere Stressoren
Zur erfolgreichen Stressvermeidung und Stressbekämpfung ist es wichtig, sich die äußeren Einflussfaktoren bewusst zu machen. Eine Umfrage der Bundesarbeiterkammer zeigt, dass die Quelle krankmachender Faktoren oft in der Unternehmens-Organisation selbst begründet liegt. Unter fehlender Eigenkontrolle, Anerkennung und/oder mangelnder sozialer Unterstützung steigen die Belastungen.
Dazu gehören:
- schlechtes Betriebsklima
- schlechtes Führungsverhalten des Vorgesetzten, unklare Arbeitsaufgaben und –abläufe
- ständige Konflikte oder Mobbing gegenüber Einzelnen
- Veränderungen im Betrieb (z.B. Umstrukturierungen, Neuübernahmen usw.), besonders wenn diese mit den Beschäftigten nicht offen besprochen werden und diese nicht in Neuorganisation des Betriebs eingebunden werden
- hohe Fremdbestimmung (die Beschäftigten haben wenig oder gar keinen Einfluss auf ihre Arbeitsinhalte, Arbeitsabläufe und die Zeiteinteilung)
- fehlende oder schlechte Qualifikation bei erhöhten Anforderungen
- Belastungen durch Chemikalien, Lärm oder anderen physischen Gefahren
Technostress
Konkret in der Arbeitssituation wird als äußerer Stressor die Reizüberflutung vor allem durch neue technische Entwicklungen kritisch beleuchtet. Auch der Zustand, permanent erreichbar sein zu müssen beziehungsweise verbunden zu sein, zählt zu den häufigsten Auslösern. Ebenso zählt die Veränderung der Lebensumstände, die zu einer konsum- und leistungsorientierten Lebensweise führen, zu den Ursachen für Stress. Silvia Rohmer sieht ebenfalls den Zusammenhang zwischen dem Druck und der Beschleunigung, denen die Menschen durch neue technische Errungenschaften ausgesetzt sind, und einer Krankheit. „Eine Krankheit, die abermals zunächst nur die Elite nieder zu raffen schien, aber sich recht schnell durch alle Gesellschaftsschichten zog. (…) Wer gestresst ist, leistet etwas, trägt etwas zu unserer Höher-schneller-weiter-Gesellschaft bei.“ (Stress – Die Geschichte eines westlichen Konzeptes, Saskia Rohmer, Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg 2013, S. 168.)
Im Hinblick auf Stress im Umgang mit neuen Technologien haben einige Autoren den Ausdruck „Technostress“ geprägt. Weil und Rosen betonen diesbezüglich vor allem die Tatsache der fortlaufenden technischen Entwicklungen. (Michelle M. Weil u. Larry D. Rosen: TechnoStress: coping with technlology @work @home @play. University of California Wiley 1997.)
Auch der angstbesetzte Umgang mit dem Computer, sowie Informationsüberflutung und ausgelöste Rollenkonflikte führen nach Brod zu Technostress. (Technostress: the human cost oft he computer revolution. University of Michigan: Addison-Wesley 1984). Brillhart legt ergänzend sein Augenmerk auf die Hilflosigkeit, die einsetzt, wenn sich Mitarbeiter lange Zeit auf das Funktionieren des technischen Systems verlassen haben.
Er unterscheidet vier Kategorien von Technostress:
- Im Rahmen einer internationalen Studie mit über tausend Business-Managern wurden Auswirkungen der Überinformation zu einer neuen Technik-Krankheit erhoben. Dieser vom Arbeiten mit dem Internet ausgelöste Informationsüberfluss, der Data Smog, führt zum Information Fatigue Syndrome.
- Als zweiten Stressfaktor bezeichnet der Autor Multitasking Madness. Damit ist das parallele Arbeiten an mehreren technischen Geräten gemeint, wie zum Beispiel Computer und Telefon. Brillhart weist darauf hin, dass das menschliche Gehirn dafÃ