Vertiefendes Lesen – Neue Medien, neue Kompetenzen, neue Lese-Lust

Vertiefendes Lesen hat Potential als Lifestyle. Ob man zum Buch greift, das Smartphone anvisiert, Akten durchforstet, in E-Books schmökert oder sich von Blogbeiträgen inspirieren lässt, überall setzt unser Gehirn Buchstaben zu Worten zusammen, die zu Sätzen, die zu Gedanken und die zu Argumenten. So, wie in der Volksschule gelernt. Zumindest bei den meisten.

Informationen auf Facebook, Twitter, etc. werden kurz überflogen. Ob man sich dabei etwas merkt oder nicht, ist meist unerheblich – Hauptsache man ist schnell dabei. Aber vertiefendes Lesen, bei dem verstehen, einordnen, reproduzieren und nachhaltig speichern gefragt ist, steckt noch voller Möglichkeiten.

Wer sein Wissen und Potential weiterentwickeln will, bemerkt schnell, dass vertiefendes Lesen die Basis ist. Die Volksschule ist lang her und unser Gehirn langweilt sich beim Zusammensetzen der Buchstaben, dem Zurückspringen und leisen Mitsprechen. Klingt absurd, ist aber wahr. Wer Augen und Gehirn aus den Kinderschuhen holt und richtig trainiert, merkt bald: Schneller Lesen, mehr Verstehen und nachhaltig Abspeichern ist kein Mysterium, sondern kann Realität werden. Effektives Lesen ist eine Kunst, die es zu praktizieren und nicht nur zu bestaunen gilt.

Vertiefendes Lesen eröffnet den Zugang zur Welt

Lesekompetenz ist mehr als ein messbarer Statistikwert. Das Bifie (Bundesinstitut für Bildungsforschung, Innovation & Entwicklung des österreichischen Schulwesens) beschreibt den Zusammenhang folgend: „Lesekompetenz zu besitzen heißt, geschriebene Texte zu verstehen, zu nutzen und über sie zu reflektieren, um eigene Ziele zu erreichen, das eigene Wissen und Potential weiterzuentwickeln und am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen.“  Der PISA-Erhebungszyklus macht alle drei Jahre auf sich aufmerksam. Aber das Lesen von Internetseiten, E-Mails, Blogs, Chats und vieles mehr begleitet uns zu einem stetig größer werdenden Teil durch den Alltag.

Schnell Lesen mit hoher Verständnisrate heißt Zeit sparen. Vertiefendes Lesen bringt eine weitere Komponente ins Spiel. Die Lesetechnik den Anforderungen entsprechend zu wählen, bedeutet sowohl eine effiziente als auch effektive Vorgehensweise und Auseinandersetzung. Im Rahmen von PISA 2018 (Programme for International Student Assessment) wird, wie schon 2009, der Schwerpunkt auf die Lese-Fähigkeit der 15-/16-Jährigen gelegt werden.  Lesen kann die Welt verändern betitelt die OECD eine Publikation zu den PISA-Ergebnissen 2000. Es ist ein nochmaliges aufmerksam Machen auf die Ergebnisse, weil „eindeutige Vorteile, [die] dem Einzelnen, der Volkswirtschaft und der Gesellschaft aus einer Anhebung des Bildungsniveaus erwachsen […]“ (Lesen kann die Welt verändern. S. 3). Warum gerade das Lesen im Mittelpunkt steht, lässt sich an zwei Punkten festmachen:

  1. Eine veränderte und verbesserte Lesekompetenz hat bedeutende Auswirkungen auf die Chancen im späteren Leben.
  2. Aus dem Interesse am und der Einstellung zum Lesen ergibt sich das Leseengagement. Wer viel und Vielseitiges liest, legt damit den Grundstein für Wahlmöglichkeiten und günstige Aussichten im künftigen Leben.

Die bisherigen PISA-Ergebnisse für Österreich im Bereich Lesen zeigen ein ernüchterndes Bild. Und das, obwohl man mittlerweile mit Sicherheit sagen kann, dass „Zwischen Lesekompetenz und Beschäftigungsaussichten, Zufriedenheit am Arbeitsplatz, Einkommen, Lebenserwartung und Gesundheit (…) positive Relationen [bestehen], z.T. sicherlich auch wegen des Einflusses auf die Entscheidungsfähigkeit. Von der Lesekompetenz gehen bekanntlich nicht nur auf das Bruttoinlandsprodukt, sondern auch auf den sozialen Zusammenhalt und den kulturellen Reichtum bedeutende Effekte aus (OECD und Statistics Canada, 2000, 80-81).“  (Lesen kann die Welt verändern. S. 110.)

Vertiefendes Lesen im Informationszeitalter

Lesefähigkeit entfalten bedeutet zweierlei: Schnelllesen mit hoher Verständnisrate (effizient) und vertiefendes Lesen (effektiv) zu beherrschen. Während Schnelllesen durch die großen Mengen an Informationen und kleine Textimpulse täglich gefragt ist, findet vertiefendes Lesen mitunter wenig Beachtung.

Der OECD Report Literacy in the Information Age hebt einmal mehr die Komplexität der Einflussfaktoren auf die Lesekompetenz hervor. Beispielweise wird aufgedeckt, dass entgegen anderer Länder, Finnland, Norwegen und Schweden eine vergleichsweise hohe Lesekompetenz vorweisen, sowohl bei jüngeren als auch bei älteren Menschen. „confirming the finding from the gradients that Nordic countries, at all ages, have a relative literacy advantage.“ (Literacy in the Information Age: OECD report. S. 33.) Der Grund dafür wird in der Kultur und Geschichte vermutet. Fakt ist, Skandinavier lesen effizienter und effektiver.  Vertiefendes Lesen mit hoher Merkfähigkeit, aber auch Schnelllesen mit hoher Verständnisrate mittels Lesen in Blöcken (chunken), hängt nicht nur mit der Kombination von Untertiteln beim Fernsehen und dem bewegten Bild zusammen, sondern auch mit guten Lesetechniken.

Die Anforderungen an die Lesekompetenz steigen nachweislich in der Arbeitswelt, genauso wie im privaten Umfeld. Der OECD Report macht bewusst, dass auch die Arbeitgeber die Lesefertigkeiten bestmöglich fördern und unterstützen sollten als Basis für die Entfaltung anderer Fähigkeiten. Bildungschancen, Karriere und Gesundheit betreffen jeden Einzelnen sein Leben lang. Evaluiert mittels PISA oder nicht, lässt sich das Potential unserer Lesefähigkeit in den meisten Fällen noch deutlich ausschöpfen. „Kurz, die Gesellschaft insgesamt profitiert auf vielerlei Art von hohen und zugleich ausgewogen verteilten Lesekompetenzen.“  (Lesen kann die Welt verändern, S. 111.)

Vertiefendes Lesen – ein lösbares Mysterium

Neues zu entdecken kann Freude machen. Ermutigend ist der Ansatz von Susan Wise Bauer, die meint: „If you can understand a daily newspaper, there`s no reason you can`t read and enjoy Shakespeare`s Sonnets or Jane Eyre.“ (Übersetzung: „Wer eine Tageszeitung versteht, für den gibt es keinen Grund, sich nicht auch an einem Sonett Shakespeares oder an Jane Eyre zu erfreuen.“)

Prof. Askeljung betont in seiner Publikation BrainRead. effizienter lesen – mehr behalten. eine differenzierte Betrachtung. Es reicht nämlich nicht aus, einfach schneller zu lesen, sondern Ziel ist es, „Ihre Lesegeschwindigkeit zu erhöhen, Ihre Verständnisrate zu steigern und Ihnen Strategien anzubieten, mit denen Sie je nach Ziel einmal gründlicher lesen und ein anderes Mal den Text nur grob überfliegen, [….] (Askeljung (2013): BrainRead. S. 16.)

Was gilt es also zu tun, um die Lesekompetenz auch über die Grenzen von PISA hinaus aus dem Ergebnis „statistisch signifikant unter dem OECD-Schnitt“ heraus zu holen? „Die einzig sinnvolle Lösung  ist, schneller zu werden, mehr zu behalten und gleichzeitig Werkzeuge parat zu haben, mit denen wir Informationen selektieren.“ (Askeljung (2013): BrainRead. S. 16.)

TIPP 1: Chunking – Skimming – Scanning

Variieren Sie ihre Lesegeschwindigkeit! Lesestrategien sind wie eine Gangschaltung, wobei „im Grunde (…) das Fixieren ganzer Sinngruppen das Herzstück jeden Schnelllesens ist.“ (Askeljung (2013): BrainRead. S. 95.) Beim Chunken, dem ersten Gang, werden Wortblöcke ins Auge gefasst (ca. 400 Wörter pro Minute). Skimming geschieht mit etwas mehr Gas, ist also schnelles Chunken. Auch Bill Klemm, Professor für Neurowissenschaft, setzt auf Skimmen.  Hier wird der Text überflogen, um sich eine Orientierung zu verschaffen, worum es geht, wie der Text gestaltet ist und was erwartet wird. Dabei ist es möglich zwischen 500 – 1200 Wörter pro Minute zu skimmen. Die Verständnisrate beim Skimming ist niedriger als beim Chunking, aber immer noch höher als beim Wort-für-Wort-lesen mit Subvokalisieren und Zurückspringen im Text.

Der dritte und höchste Gang ist Scanning (ca. 2000 Wörter pro Minute). Gescannt wird, wenn Sie ganz bestimmte Informationen in einem Text suchen. Das mittlere Drittel einer Seite wird abgescannt, indem Sie mit ihren Augen Schlangenlinien von oben nach unten abtasten. Beim Scannen steht nicht das Leseerlebnis, sondern ein erster Leseeindruck sowie eine grobe Orientierung im Mittelpunkt.

Vertiefend Lesen oder Schnelllesen, beides hat seine Vorteile. Entsprechend ihrem Anspruch an die Verständnisrate oder Ihren gewünschten Zeitaufwand haben Sie nun die Wahl!

TIPP 2: Trichtermethode für große Textvolumen!

Lange Texte schnell gelesen und gut gemerkt! Verschiedene Lesetechniken zum vertiefend Lesen oder Schnelllesen bilden die Basis. Für einen ersten Überblick wird der Text mit hoher Geschwindigkeit gescannt. Im nächsten Schritt fokussieren Sie auf jene Teile des Buches, die Sie als relevant erachten. Dann lesen Sie den Text mehrmals mit immer geringerer Lesegeschwindigkeit, bis Sie ausreichend verstanden haben, worum es geht. Fokussierter und nur auf jene Inhalte beschränkt, die relevant sind, arbeiten Sie so das Buch durch. Je nach Ihrem Ziel, ob Sie das Buch lernen oder nur die Inhalte aufnehmen und verstehen wollen, variieren Sie die Durchgänge und Lesestrategien. Auch, wenn Sie den Text erst überfliegen und dann stückchenweise tiefer in den Text eindringen, haben Sie bei mehrmaligen Durchgängen nach diesen Lesetechniken immer noch einen Zeitgewinn gegenüber einmaligem Wort-für-Wort-lesen.

Wenn Sie den Text mehrmals nach der Trichtermethode durcharbeiten, steigt der Merkeffekt bei deutlichem Zeitgewinn gegenüber herkömmlichen Lesemethoden. (Askeljung (2013): BrainRead. S.150.)

TIPP 3: Notizen machen verstärkt den Transfer ins Langzeitgedächtnis!

Machen Sie sich den Text zu Eigen! Markiert und unterstreicht man die Sätze, die man verwirrend, interessant oder wichtig findet, unterstützt man den Merkprozess. Als hilfreich erweisen sich auch Symbole wie Fragezeichen, Ausrufungszeichen, Pfeile mit Querverweisen, Randmarkierungen und -kommentare, die wichtige Absätze kennzeichnen. Aber Vorsicht egal, ob mein vertiefend Lesen oder Schnelllesen: Effizientes Lesen braucht ein Ziel!

  • Textmarkierungen gezielt und sparsam einsetzen.
  • Sollte der Text auf Zusammenhänge hin durchgearbeitet werden, kann sich Markieren als nachteilig erweisen. Diese Technik zielt eher auf die direkte Abfrage von Textinhalten ab.
  • Das Unterstreichen bremst mitunter die Lesegeschwindigkeit.

TIPP 4: Stellen Sie sich Fragen vor dem Lesen!

Machen Sie sich vor dem Lesen eigene Gedanken, damit aktivieren Sie Ihr Gehirn! Definieren Sie ein Leseziel. Ingrid Spielman ermutigt dazu, sich Fragen über den Text zu stellen. Damit zwingt man das Gehirn, das gelesene Material zum Lösen eines Problems zu verwenden. Für eine gelungene Interaktion mit dem Text können die Fragen einfach sein. In BrainRead werden hierfür die sechs W-Fragen hinzugezogen: Wer? Was? Wann? Wo? Wie? und warum? Wenn Ihnen klar ist, was sie vom Text wollen und erwarten, sorgen Sie für eine Anschlussverbindung zwischen Ihrem Gehirn und den Gedanken des Autors. (Askeljung (2013): BrainRead. S. 122.)

TIPP 5: Abrufbarkeit fördern mittels PQRST!

Gelesenes leichter abrufen durch einprägen, verbinden und assoziieren! Eine Methode hierfür ist das Lesen in 5 Lernschritten:

P = Preview

Einen ersten Überblick über den Stoff verschaffen. Damit werden Vorinformationen im Gehirn aufgerufen.

Q = Question yourself

Fragen zum Stoff formulieren hilft beim aktiven Lernen. Wer aktiv nach Informationen sucht und vorher überlegt, wird sich den Lernstoff schneller und besser aneignen.

R = Read (thoroughly)

Der Text wird gründlich gelesen u