Wie steht es eigentlich um Ihre persönliche Balance von Arbeit, Familie, und Freizeitanspruch? Beruf und Privatleben sind in der heutigen Zeit stark von technologischen Entwicklungen und der Notwendigkeit zur Flexibilität geprägt. Auch verschwimmen die Grenzen zwischen den beiden Bereichen zunehmend. Wie es gesellschaftlich um eine ausgeglichene Work-Life Balance bestellt ist, wollen wir daher im Folgenden näher beleuchten. In diesem Zusammenhang spielen auch Informations- und Kommunikationstechnologien eine Rolle. Sind sie eher Ursache oder Unterstützung? Und inwieweit hilft der bewusste Umgang mit den persönlichen Ressourcen?
Definition von Work-Life-Balance
Im weitesten Sinne lässt sich Work-Life Balance umschreiben mit der Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Das Thema umfasst viele unterschiedliche Facetten und betrifft unter anderem auch Einzelpersonen. Vor diesem Hintergrund ist es auch schwierig, eine einheitliche Definition zu finden und zu konkretisieren. Zusätzlich muss man bei einer Erläuterung der Work-Life Balance die Sozialstruktur, die Infrastruktur und das Werteverständnis innerhalb der Gesellschaft mit einbeziehen und berücksichtigen.
In einer gemeinsamen Initiative der Bundesministerien, des Bundesverbandes der Deutschen Industrie e.V. und anderen Unternehmen wurde eine Studie zum Thema Work-Life-Balance durchgeführt. Definiert wurde folgendermaßen: „Work-Life Balance bedeutet eine neue, intelligente Verzahnung von Arbeits- und Privatleben vor dem Hintergrund einer veränderten und sich dynamisch verändernden Arbeits- und Lebenswelt. Betriebliche Work-Life Balance-Maßnahmen zielen darauf ab, erfolgreiche Berufsbiographien unter Rücksichtnahme auf private, soziale, kulturelle und gesundheitliche Erfordernisse zu ermöglichen.“ (Work-Life-Balance als Motor für wirtschaftliches Wachstum und gesellschaftliche Stabilität, Michael Astor, Michael Steiner, 2005, S. 1).
Etwas weiter gefasst und mit dem Blickwinkel auf den Ausgleich von Beruf und Privatleben könnte Work-Life Balance so erläutert werden: „den Menschen ganzheitlich zu betrachten (als Rollen- und Funktionsträger) im beruflichen und privaten Bereich (der Lebens- und Arbeitswelt) und ihm dadurch die Möglichkeit zu geben, lebensphasenspezifisch und individuell für beide Bereiche die anfallenden Verpflichtungen und Interessen erfüllen zu können, um so dauerhaft gesund, leistungsfähig, motiviert und ausgeglichen zu sein.“ (Silke Michalk u. Peter Nieder: Erfolgsfaktor Work-Life Balance. 1. Aufl. Weinheim: Wiley-VCH 2007. S. 22.) Diese ganzheitliche Perspektive verdeutlicht den Zusammenhang. Zum einen jene zwischen dem Mensch und den Strukturen innerhalb der Gesellschaft, in der er lebt. Zum anderen erfüllt jedes Individuum Rollen und Funktionen innerhalb unterschiedlicher Subsysteme. Daraus resultiert eine Ursache-Wirkung-Kette. Der Mensch wird individuell mit seinen Rollen und Funktionen in Beruf und Privatleben in Beziehung gebracht.
In den Überlegungen zu Work-Life Balance geht es also um ein Gleichgewicht zwischen zwei Variablengruppen. Wobei Silke Michalk und Peter Nieder darauf hinweisen, dass ein Ausgleich in der heutigen Realität nicht bei einer 50:50 Gewichtung zu finden ist.
Zum Phänomen Work-Life Balance
Die Überlegungen zur Work-Life Balance beschäftigen sowohl die Wissenschaft als auch Wirtschaftsunternehmen. Seit Anfang der neunziger Jahre ist das Thema in Deutschland präsent. Zerlegt man den Begriff in seine einzelnen Komponenten, wird die Komplexität der Thematik sichtbar. „Arbeit“ ist ein durchaus gängiges Wort, möchte man aber charakteristische Kriterien festsetzen, wird die Bandbreite der Einsatzmöglichkeiten deutlich. Von Erwerbsarbeit, Hausarbeit, Bildungsarbeit, Erziehungsarbeit oder Trauerarbeit wird gesprochen, um nur einige wenige herauszugreifen.
Die Arbeitswelt verändert sich
Traditionell bedeutete Arbeit vor allem körperlich anstrengende Tätigkeiten, durch die man den Lebensunterhalt sicherte. Der Sozialexperte Bert Rürup versuchte einem breiter gefächerten Verständnis gerecht zu werden: „Arbeit ist die Summe aller körperlichen und geistigen Tätigkeiten des Menschen zur Herstellung von knappen, das heißt begehrten, Gütern und Dienstleistungen. Von Erwerbsarbeit sollte man dann sprechen, wenn diese Tätigkeit gegen Entgelt stattfindet.“ (Bert Rürup: Arbeit der Zukunft – Zukunft der Arbeit: die Determinanten von Arbeit. –In: Arbeit ohne Sinn – Sinn ohne Arbeit?: Über die Zukunft der Arbeitsgesellschaft), Weinheim: Beltz Athenäum 1994, S. 35.) Damit berücksichtigt er zwar die ökonomische Funktion, die soziologische und anthropologische, bleibt aber unbeachtet. Ursula Meyer ergänzt die beiden vor dem Hintergrund, dass sowohl die Normierung von Arbeitsaktivitäten als auch die Arbeit als Naturbedingung des Lebens von Relevanz wären. (Ursula I. Meyer: Der philosophische Blick auf die Arbeit. Aachen: Ein-FACH-Vlg 2003.16f.)
Arbeit definieren uns als Menschen
In unserer Gesellschaft definieren sich die Menschen über Arbeit und werden von anderen über sie definiert. Arbeit ist nicht mehr ein reiner Broterwerb, sondern wurde von dem Wunsch verdrängt, sich mit ihr zu identifizieren. Das verdeutlicht, dass Arbeit ein fundamentaler Bestandteil unseres Lebens geworden ist. Empirische Untersuchen zeigen, dass sowohl die Freizeit- als auch die Arbeitsorientierung zunimmt. Silke Michalk und Peter Nieder fassen den Begriff Work zusammen: alle Tätigkeiten, Rahmenbedingungen, Rollen, Funktionen und strukturellen Gegebenheiten, die in Beziehung zur Arbeit, zum Beruf und zu allem, was damit in Verbindung gebracht wird, gesetzt werden kann. Sie umreißen die Arbeitswelt mit drei Parametern: der Zeit (beispielsweise Arbeitszeit), den Tätigkeiten und Handlungen (beispielsweise Dienstreisen, Arbeitsaufgaben) und den strukturellen Gegebenheiten (beispielsweise Ort des Arbeitsplatzes, Ausstattung). (Silke Michalk u. Peter Nieder: Erfolgsfaktor Work-Life Balance. 1. Aufl. Weinheim: Wiley-VCH 2007. S.19f.)
Life – Lebenswelt
Der Begriff „Life“ lässt sich mit Lebenswelt übersetzen. Das umfasst alles, was im Alltag erlebt, erfahren und erlitten wird. Die Lebenswelt enthält alle Handlungs- und Deutungsmuster, die kulturell und gesellschaftlich diesem System zugrunde liegen. Damit stellt sie auch die Normen und Wertebasis dar. Im Kontext der Work-Life Balance ist er das begriffliche Gegenstück zur Arbeitswelt. Somit umfasst die Lebenswelt sowohl Arbeit, die im privaten Bereich anfällt, wie Hausarbeit, als auch Freizeit. Silke Michalk und Peter Nieder schreiben dazu: „Generell wird Freizeit als Zeit bestimmt, die zur freien Verfügung steht und nach freiem Ermessen und gemäß den individuellen Bedürfnissen ausgefüllt und gestaltet wird.“ Umschlossen sind demnach alle Bereiche, Personen, Handlungen und Erfahrungen, die außerhalb des Berufslebens oder der Arbeitswelt existieren.
Balance – Sinngehalt im Leben
Mit „Balance“ ist die objektive und subjektive Zeit- und Prioritätenverteilung gemeint. Verschiedene Kriterien wie die tatsächliche Zeitverteilung, als auch persönliche Präferenzen spielen hier eine Rolle. Kurzfristiges Zeitmanagement, das den Tagesablauf betrifft, aber auch längere Zeitperspektiven, wie solche in verschiedenen Lebensphasen, gehören dazu. Problematisch an der Gegenüberstellung von Work und Life ist, dass vermittelt wird, Sinnerfüllung und Selbstverwirklichung würden nur außerhalb der (Erwerbs-)Arbeit stattfinden.
Besteht kein Ausgleich von Beruf und Privatleben, kommt es zu einem Spannungsfeld. Im Positiven, wie auch im Negativen besteht ein Zusammenhang zwischen der Lebenswelt und der Arbeitswelt. Die Vereinbarkeit beider Bereiche ist wichtig, „um dauerhaft gesund und mit sich und der Umwelt im Einklang zu sein und einen Sinngehalt in seinem Leben erkennen zu können.“ (Silke Michalk u. Peter Nieder: Erfolgsfaktor Work-Life Balance. 1. Aufl. Weinheim: Wiley-VCH 2007. S. 21)
Wirtschaftliche Auswirkungen einer mangelnden Work-Life Balance
Die wirtschaftlichen Auswirkungen einer mangelnden Work-Life Balance werden schon 2003 im Fehlzeiten-Report für Deutschland dezidiert problematisiert. Die Auswirkungen neuer Arbeitsformen auf Stress und Lebensqualität werden (umfangreich) untersucht und thematisiert. „Gesundheitswissenschaftler interessieren sich insbesondere für die gesundheitlichen Folgen einer offensichtlich als immer problematischer empfundenen Vereinbarkeit von Arbeit, Familie und Freizeit. Soziologen sehen darin einen grundlegen Rollenkonflikt angelegt,(…). Ökonomen warnen vor allem vor den drohenden negativen Folgen für Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft der Beschäftigten und entsprechenden negativen Konsequenzen für Qualität, Produktivität und Wettbewerbskraft unserer Wirtschaft (Fehlzeiten-Report 2003: Wettbewerbsfaktor Work-Life-Balance, von Bernhard Badura, Henner. S. 5+6.)
Fehlzeiten Steigen
Die Zahlen des österreichischen Institutes für Wirtschaftsforschung von November 2015 vermitteln folgende Übersicht über Entwicklung und Verteilung von Fehlzeiten in Österreich.
Psychischen Erkrankungen Steigen
Auffallend ist der klare Aufwärtstrend der psychischen Erkrankungen und Verhaltensstörungen. Die Zahl der Krankenstandstage hat sich seit Mitte der 1990er-Jahre infolge psychischer Erkrankungen fast verdreifacht. Eine ähnliche Entwicklung ist auch in anderen Ländern, wie beispielsweise in Deutschland, beobachtbar. Diese Statistik kann als Richtwert gesehen werden. Die Autoren weisen darauf hin, dass die tatsächliche Bedeutung von psychischen Problemen für das Krankenstandsgeschehen von diesen Zahlen nicht unmittelbar abgelesen werden kann. Einerseits hat sich das Bewusstsein der Ärzte hinsichtlich des psychischen Bereiches gewandelt. Andererseits ist die Symptomatik komplex und mitunter werden die psychischen Ursachen bei der Diagnose anderen Krankheitsgruppen zugeschrieben. Hier werden allen voran Allergien, Magenschmerzen, Kreislaufprobleme usw. genannt, welche auch als Folge von Stress und psychischen Belastungen auftreten, ohne der Psyche zugeschrieben zu werden.
Dass psychischen Belastungen und Erkrankungen für die Arbeitswelt von großer Bedeutung sind, lässt sich durch andere Quellen bestätigen. Wiederholt verdeutlichen Umfragen, dass Beschäftigte – im Zusammenhang mit ihrer Erwerbstätigkeit – Depressionen, Stress und Angstkrankheiten am häufigsten zu den gesundheitlichen Problemen zählen (Dupré, D., “Berufsbedingte Gesundheitsschäden in der EU 1998-1999”, Eurostat, Statistik kurz gefasst, Luxemburg, 2001, S. 3-17.).
Langfristig gesehen sind die Folgen von psychischen Problemen besonders gewichtig. Denn laut den Daten 2014 (Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger, Statistisches Handbuch der österreichischen Sozialversicherung 2015, Tabelle 3.34) sind sie die häufigste Ursache, dass Neuzugängen in die Invaliditäts- bzw. Berufsunfähigkeitspension übertreten. (S. 51f.)