Stress als Entschuldigung

Geht es Ihnen wie mir? Wenn ich das Wort “Stress” höre, empfinde ich gleich selbst welchen. Ich kann in einer ganz entspannten Situation sein und trotzdem löst das Wort sofort eine Reaktion bei mir aus. Ich sitze beispielsweise mit Freunden beim Abendessen im Restaurant. Wir plaudern und warten noch auf jemanden. Die Tür geht auf, der Nachzügler eilt gehetzt an unseren Tisch und begrüßt uns erstmal mit den Worten “Entschuldigt die Verspätung, aber ich hatte so einen stressigen Tag.” Bumm. Sofort fühle ich mich selbst gehetzt und unter Druck.

“Stress” wird meiner Meinung nach viel zu oft benutzt – vor allem, wenn man die verschiedenen Definitionen zugrunde legt.

Was versteht man unter Stress wirklich?

  1. Stress ist ein biochemischer Vorgang der nur im Kopf stattfindet, wird hervorgerufen durch die Angst etwas nicht schaffen zu können. Stress wird nicht von jemand anderen hervorgerufen sondern immer nur von der gestressten Person selbst. (vgl. Becker, 1990, S.23)
  2. „Stress ist definiert als ein Spannungszustand, der durch die Befürchtung entsteht, dass eine stark aversive, zeitlich nahe oder bereits eingetretene subjektiv lang andauernde Situation als nicht vollständig kontrollierbar erlebt wird, deren Vermeidung aber subjektiv wichtig erscheint“. (vgl. Aichinger, 2003)

Es gibt noch viele andere Definitionen, aber allen ist gemein, dass Stress

  • eine subjektive Empfindung ist und
  • die stressauslösende Situation als unkontrollierbar empfunden wird.

Wenn wir Stress empfinden, fühlen wir uns als Opfer der Umstände. Wir glauben, wir können Situationen nicht bewältigen und sind abhängig von Lösungen von außen. Es gibt diese Situationen für jeden und jede von uns. Wir waren alle schon mal mittendrin. Dann ist das Gefühl zuerst da und wir verwenden – ganz richtig – das dazugehörige Wort.

Es funktioniert aber auch umgekehrt. Wir benutzen das Wort und sofort sind alle Ohnmachtsgefühle da, die zum Stresszustand gehören.

Warum hört man das Wort “Stress” so oft?

Ja, warum hört man es so oft? Weil es ein Zeichen von hoher Leistung ist. Leider. Ich halte das für einen ganz falsches Denkkonzept. Denn in Wirklichkeit kann man im Gefühl der Ohnmacht wenig leisten und das auch noch schlecht. Wenn wir also alle wirklich so viel Stress hätten, wie wir ihn äußern und von anderen hören, sähe es finster aus in den Unternehmen und den Familien.

Aber jemand der oft über Stress stöhnt, wirkt eben gleich viel wichtiger und ist sich auf jeden Falls des Mitleids seiner Umgebung sicher.

Formulieren Sie um

Oft gibt es ein viel passenderes Wort, für dieses Gefühl unter einem gewissen Zeitdruck eine große Menge an Arbeit zu bewältigen: Eustress. Eustress ist positiv, er beflügelt und steigert unsere Leistung. Es ist das gleiche wie Flow zu erleben (das restlosen Aufgehens in einer Tätigkeit). Überlegen Sie das nächste Mal, was Sie wirklich empfinden. Belastenden Stress, der sie ohnmächtig und handlungsunfähig macht, oder beflüglenden Eustress. Überraschen Sie Ihre Umgebung dann mit der Verwendung des anderen Wortes – damit tun Sie sich und Ihren Mitmenschen einen Gefallen.

Auch andere Wörter, die negative Gefühle hervorrufen, können Sie ersetzen: Sie

  • haben kein Problem – Sie arbeiten an einer Lösung
  • müssen nicht pünktlich zu einem Termin – Sie wollen pünktlich zu einem Termin
  • sollen die Präsentation nicht machen – Sie dürfen sie machen

Versuchen Sie es einfach mal. Es lohnt sich immer, neuen Denkweisen zumindest auszuprobieren.

Quellen:

  • Aichinger, Christina. (2003). Arbeitszeit und Subjektive Gesundheitsaspekte. Linz
  • Becker, Klaus Jürgen. (1990). Erfolg ohne Stress. München: Verlag Peter Erd.

 

Göran Askeljung

Über den Autor Göran Askeljung

Prof. (op) Göran Askeljung – BcEE, ist Business Trainer bei askeljung.com und Geschäftsführer und Senior Trainer bei immediate effects. Seit 2016 ist Göran Askeljung auch Certified Facilitator und Associate von Consensus in NY, und leitet Consensus Austria und Germany. Als Professor of Practise (op) am Georgian School of Management (GSOM) leitet er das Institut für Sales and Negotiations. Er ist Vorstandsmitglied in der Schwedischen Handelskammer in Österreich und Mitglied des Beirats von Wirtschaftsforum der Führungskräfte (WdF). Göran ist auch als Trainer, Coach und Consultant für Consensus Group (NY, US), The Forum Corporation (UK), eBda (Fr) undNapier Training Associates (UK) tätig. Er ist zertifiziert im Solution Selling® von der SPI University in USA. Seine Arbeit umfasste Tätigkeiten als Trainer und Coach für Produktivität, Verkauf, Vertriebsmanagement, Key-Account Management, Lösungsvertrieb, Verhandlungstaktik, Verhandlungsführung, Rhetorik und Präsentationen. Göran wurde 1967 in Schweden geboren und lebt seit 1990 in Wien. Er spricht fließend Deutsch, Englisch und Schwedisch. Lebenslauf und Werdegang: Oxford Encyclopedia | LinkedIn | XING